von Sophokles
Übersetzung: Peter Krumme
Regie: Nora Somaini
Premiere: 14. September 2006, Theater an der Parkaue
mit: BIRGIT BERTHOLD (Kreon)
LUTZ DECHANT (Teiresias)
HELMUT GEFFKE (Chor)
ELISABETH HECKEL (Antigone)
SUSANNE HESSEL (Ismene)
NIELS HEUSER (Wächter im Video)
FRANZISKA RITTER (Chor)
HANS-HENNING STOBER (Haimon)
Bühne: Ulrike Siegrist
Kostüme: Constanze Zimmermann
Dramaturgie: Sascha Willenbacher
Antigone trauert um ihre Brüder Eteokles und Polyneikes, die sich im Zweikampf um die Vorherrschaft in Theben gegenseitig umgebracht haben. Eteokles wurde mit allen Ehren bestattet. Polyneikes nicht, denn er war zuvor als Staatsfeind des Landes verwiesen worden. Der neue König Kreon hat verfügt, dass Polyneikes weder Grab noch Totenklage gewährt werden dürfen. Allen, die sich nicht an diesen Befehl halten, droht die Todesstrafe. Damit ihr Bruder nicht zur Beute von Hunden und Vögeln wird, trotzt Antigone der königlichen Anordnung: Sie erweist ihrem Bruder die letzte Ehre und bringt damit Kreons Zorn gegen sich auf.
Sind von Menschen gemachte Gesetze weniger wert als ungeschriebene göttliche Gebote? Darf Antigone das Recht des Staates verletzen? Darf Kreon das Recht der Familie und die Gebote der Götter verletzen? Ist Antigone treu und konsequent – oder stur und dickköpfig? Ist Kreon ein machtbesessener König, der über Leichen geht – oder ein loyaler und pflichtbewusster Machthaber, der das Beste für den Staat will? Wer hat Recht? Und wie ist dieser Konflikt zu lösen?
Wir nehmen den Text in seiner Sprache, seiner Dramaturgie und seinem zentralen Konflikt ernst. Daraus folgt, dass das Wissen um die Vorgänge in der Familie des Herrscherhauses Laios für die Arbeit auf der Bühne bedeutend sind. Es soll die Verflechtung aus Macht, Tradition, Blut und Geld erzählt werden.
Antigone ist ein Stück über die Zukunft. Ökonomische und Politische Macht in den Händen von Familienclans könnte auch bald europäische Wirklichkeit sein. Insofern zeigen wir keine Antigone aus der Vergangenheit, sondern eine, die unsere Zukunft sein könnte. Daher erscheint es konsequent, dass wir am entscheidenden Wendepunkt von Kreon die Inszenierung öffnen und mit dem Publikum verschiedene Möglichkeiten des weiteren Verlaufs der Handlung sowie des weiteren Lebens der Charaktere durchspielen. Einmal nach Maßgabe des Wahrscheinlichen und einmal nach Maßgabe des Wünschenswerten.
Hintergrund: Sieht man in die USA, nach Italien, Russland, China oder in islamische Länder, kann man eine Konzentration von ökonomischer, publizistischer und politischer Macht in den Händen von Familiendynastien beobachten: Kennedy, Bush, Berlusconi, Murdoch, Xiaoping. Die seit Jahren forcierte Liberalisierung von Märkten sowie der Zusammenschluss von politischen Einheiten zu ökonomischen Großräumen geht mit dem Rückgang politischer, staatlicher bzw. gemeinschaftlicher Gestaltungsmöglichkeiten einher. Die Elitendiskussion hierzulande gibt einen Vorgeschmack darauf, wie sich auch hier eine Machtkonzentration in den Händen von einflussreichen Familien entwickeln könnte. Begleitet wird dies durch die Tendenz einer „neuen“ Durchlässigkeit von Politik und Wirtschaft (Bangemann, Clement, Schröder, Merz). Vielleicht nur noch eine Frage der Zeit, bis ein Ministerpräsident Pischetsrieder oder von Pierer heißt.
Die gegenwärtigen Kriege gegen den Terrorismus normalisieren einen Ausnahmezustand, in dem die Einschränkung von Bürgerrechten vorgenommen wird mit dem Argument die Freiheit zu verteidigen. Die Inszenierung spielt in einem Umfeld des Ausnahmezustands. Wir nehmen Theben als einen Staat an, in dem die politische Führung sich nur mit Mühe hat an der Macht halten können. Die öffentliche Ordnung war von innen und außen bedroht: es gab Plündereien, Vergewaltigungen, Brandschatzung. Das Machtvakuum wird von Kreon, einer Frau, gefüllt, die nun vor der Aufgabe steht, das Gemeinwesen zu sichern. In einer solchen Situation ist die politische Symbolik von hoher Bedeutung und korrespondiert mit der zunehmenden Wichtigkeit von inszenierten Bildern zur Lenkung der öffentlichen Wahrnehmung. Die militärische Auseinandersetzung findet auch in einem Bilderkrieg statt.
Antigone ist ein Stück über Demokratie und das sie voraussetzende Vernunftdenken, das in der Lage ist, verschiedene Positionen zu vereinen. In einer gesellschaftlichen Wirklichkeit, die durch eine unübersichtliche Gleichzeitigkeit von Lebensstilen und Entwürfen, von Werthaltungen und Ansichten geprägt ist, bedeutet dies eine erhöhte Anstrengung. Ein fortlaufender unüberschaubarer Prozess, der nicht immer sichtbare Konsequenzen hat. Die Frage nach einer Lösung des Konflikts und einem anderen Umgang damit, soll den jugendlichen Zuschauern zur Diskussion gegeben werden aus der sich dann verschiedene Verläufe ergeben können. Diese werden dann improvisiert vorgeführt.