von Heiner Müller, nach William Shakespeare
Regie: Nora Somaini
Premiere: 2004, Sophiensaele Berlin, gefördert aus Mitteln des Hauptstadtkulturfonds
mit: Lady Macbeth, Lady Macduff - Katharina Eckerfeld
Macbeth, Krieger - Michael Scherff
Banquo, Lord - Martin Brauer
Duncan, Krieger, Fleance, Arzt - Sven Tjaben
Malcom, Krieger, Schwester2, Mörder 3 - Daniel Jeroma
Macduff, Krieger, Lenos, Schwester 3, Mörder2 - Sebastian Herrmann
Rosse, Krieger, Pförtner, Schwester 1, Mörder 1 - Markus Frank
Schattenschwert, Krieger, Bauer - Martin Krahl
Live-Musiker - Nik Bärtsch
Bühne & Kostüme: Doey Lüthi
Choreographie: Martin Krahl
Musik: Nik Bärtsch
Dramaturgie: Andrea Koschwitz
Licht: Andreas Greiner
Technische Leitung: Jörg Bittner
Regieassistenz: Franca Drewes
Ausstattungsassistenz: Claudia Geschonek, Nina Torwart
Dramaturgieassistenz: Geeske Otten
Produktionsleitung: Kerstin Müller, Claudia Jansen
Krieg in Schottland. Nicht nur die norwegische Invasionsarmee bedroht die Macht von König Duncan. Aufstände, Hochverrat und Revolten im Innern stellen das gesellschaftliche System in Frage. Die Mächtigen des Landes müssen handeln. Die Feldherren Macbeth und Banquo gewinnen die entscheidende Schlacht. Im Siegesrausch begegnen sie drei „Schicksalsschwestern", in deren Prophezeiungen sie ihre eigenen Aufstiegsträume erfahren: Macbeth soll/will König werden. Banquos Kinder sollen/werden ihn beerben. GET TO THE TOP. Das Spiel beginnt. Dabei hat Macbeth mit der Lady eine ideale Mitstreiterin an seiner Seite. Das Paar als Team funktioniert perfekt. Sie ermorden den König. Sie beseitigen Banquo. Die verbliebene Elite wird auf den neuen Herrscher eingestimmt. Doch Machtergreifung und Machterhalt fordern ihren Tribut. Am Ziel angelangt, ist die Liebe aus. Macbeth, sehr einsam und sehr mächtig, genießt die unausweichliche Katastrophe.
Heiner Müllers Macbeth begeht den Mord als Arbeit. Sein Aufstieg beruht auf Leistung und einem hemmungslosen Egoismus, der, einmal an der Macht, den eigenen Größenwahn als Führungs- und Lebensform etabliert. Dabei bleiben alle menschlichen Gefühle auf der Strecke. Die Selbstverwirklichung als Heilsweg wird zum Vernichtungswerkzeug der eigenen Existenz. Müller konfrontiert in seiner 1972 entstandenen Macbeth"-Bearbeitung den Wahn der Mächtigen mit der grauenhaften Realität und Verrohung ihrer Opfer. Das Subjekt der Grausamkeit wird dabei von einem System getragen, das zu selbstzerstörerischem Pragmatismus verkommen ist.
Die Regisseurin Nora Somaini, deren Inszenierung von Heiner Müllers Shakespeare-Bearbeitung „Anatomie Titus Fall of Rome" 1999 auf Kampnagel Hamburg bereits mit großem Erfolg gezeigt wurde, konfrontiert in ihrer aktuellen Inszenierung die Sprachgewalt Müllers mit der alten japanischen Schwertkunst laido. Ihre Spieler*Innen suchen mit dieser traditionellen Kunst der Schwertführung japanischer Samurai-Krieger eine Atmosphäre der
permanenten Kampfbereitschaft. Mit hoher Technik und ausgestelltem Ehrenkodex zeigen sie ein politisches System moderner Eliten, das den grenzenlosen Egoismus und die bedingungslose Rücksichtslosigkeit eines Macbeth nicht nur fördert, sondern geradezu zum Überlebensprinzip werden lässt.
Konzept
Die Musik in Macbeth schafft eine eigene rhythmische Erzählebene und wird so zum Herzschlag des Stückes und gibt ihm einen eigenen Klang. Durch ihre rhythmische, patternartige Struktur entsteht ein unmittelbarer Bezug zur poetischen Rhythmik der Sprache Müllers, zu den Bewegungen der Schauspieler und zum Stück als ganzes. Die
Musik greift Gesten und "musikalische" Themen auf, die in Sprache und deren Verkörperungen vorhanden sind, führt sie weiter, transportiert und kontrastiert sie. Der Komponist, Pianist und Perkussionist Nik Bärtsch arbeitet mit musikalischen Bausteinen, die meist durch rhythmische Verzahnung, Reduktion, Repetition und minimale
Veränderungen ihren Sog entfalten. Seine Musik nennt sich Ritual Groove Music und verbindet Ingredienzien aus Never Musik, Funk und ritueller japanischer Musik zu einem eigenständigen, spannungsgeladenen Soundgebräu: Eine Klangwelt von roher Poesie, die von obsessiven Drehmomenten getrieben wird. Die Musik findet live statt und ist ein eigenständiges Element auf der Bühne. Das gegenseitige Verständnis für Beat und Sprache haben Nik Bärtsch und Nora Somaini in mehreren fruchtbaren Zusammenarbeiten erprobt und entwickelt.
Die Inszenierung arbeitet mit einer Kampftechnik, die dem mittelalterlichen Schwertkampf zwar verwandt ist, sich aber anders herleitet und vor allem anders ausgeführt wird: das japanische IAIDO. Diese besondere Kunst der Schwertführung ist die Basis der Samurai-Kämpfer. Mit Hilfe dieser Technik wird den Schauspieler*Innen ein Körpergefühl und Bewegungsverhalten vermittelt, das vor allem von Präsenz und Gestus, Konzentration und Bedrohung bestimmt ist. Durch IAIDO wird ein Gefühl der permanenten Kampfbereitschaft untereinander etabliert. Diese Spannung ist größer und wichtiger als die tatsächliche Entladung im Kampf. Im IAIDO sind die Kämpfe nicht spektakulär, sondern kurz und effektiv. Die Vorbereitung auf den Kampf ist das Wesentliche. In MACBETH kommt der Ehrenkodex, den jede Elite für sich erstellt, in der Beherrschung der Waffen zum Ausdruck. Die Figuren verhalten sich beim Töten nicht wie Tiere, sondern meisterhaft brilliant und formvollendet.
Takeshi Kitano über Kämpfe die mit einem Hieb entschieden werden
Der Schwertkampffilm erlebt zurzeit in Hollywood eine Renaissance. Gefällt ihnen
Tom Cruise in Samurairüstung?
Ob mir Tom Cruise gefällt? - Nicht sehr. Ich habe „The Last Samurai" nicht gesehen, ich kann mir also nicht wirklich ein Urteil bilden, aber nach allem, was ich gehört habe, macht er mir einen allzu ernsthaften Eindruck. All dies Geraune über die wahre Mentalität der japanischen Samurai und der Versuch der Filmemacher, das feudale Japan historisch korrekt darzustellen, die Detailtreue in den Kostümen und Requisiten - all das interessiertmich nicht. In Tarantinoas „Kill Bill" habe ich mich hingegen prächtig amüsiert, weil er sich einen Dreck darum schert. ein treues Abbild Japans zu entwerfen. Er nimmt sich die Elemente, die er cool findet, und macht sein eigenes Ding draus.
Wie erklären Sie die Welle von Schwertkampffilme?
Vielleicht liegt es dran, dass viele Regisseure entdeckt haben, dass es bei der Inszenierung von Schwertkampfsequenzen noch einiges auszuprobieren gibt. Bei Schusswechsel ist ja alles schon gezeigt worden, obwohl die inszenatorische Bandbreite durch die größere Distanz der Kontrahenten um einiges größer ist. Doch was die Bewegungsabläufe des Körpers betrifft, tut sich beim Schwert ein viel größeres Spektrum auf. Da ist Raum für Experiment.
Wie haben sie die Kampfsequenzen im „Zatoichi" entwickelt?
Ich hatte einen Schwertkampfchoreographen und einen Trainer am Set, aber die Choreographien habe ich letztlich selbst erfunden. Ich hatte eine sehr klare Vorstellung, wie sie aussehen sollten. In den Kung-Fu-Filmen aus Hongkong und einem Großteil der Chanbara-Filme aus Japan ziehen sich die Kämpfe endlos hin, die Kontrahenten bewegen sich unaufhörlich, es geht vor und zurück, jeder Kampf muss den vorhergehenden überbieten. Das hätte mir in meinen eigenen Film nicht gefallen. Bei mir sollten die Kämpfe mit nur einem Streich entschieden werden. So wie es in der Kampftechnik laido üblich ist, wo man sein Schwert mit einem Stoß in genau die richtige Stellung bringt.